„Die Hoffnung nach der Krise“ – so lautet das aktuelle Buch von Trendforscher Matthias Horx. Wir sprechen mit ihm über vier verschiedene Phasen von Krisen, einen Perspektivwechsel für innovative Eventformate und die Suche nach dem Sinn der Arbeit.
Wie geht es Ihnen zurzeit in der Corona-Pandemie?
Ich mache wohl die Erfahrung wie viele Menschen. Wenn man sich nicht von Panik und schlechter Laune anstecken lässt, tun sich verblüffende Möglichkeiten auf. Vieles macht man leichter und einfacher als vorher. Ich habe viel Zeit zum Schreiben und Gärtnern gefunden. Es kann bei mir eine Ausnahme sein, aber erstaunlicherweise hat es die Ökonomie nicht sehr beeinflusst. Man denkt oft, dass es schlimmer kommt, als es wirklich ist.
In Ihrem aktuellen Buch „Die Hoffnung nach der Krise“ gehen Sie auf unterschiedliche Phasen von Krisen ein. Können Sie die genauer beschreiben?
Die Psychologin Elisabeth Kübler-Ross beschrieb die Trauerphasenlogik. Ihre vier Phasen kann man auf Krisen anpassen. Erstmal Schock, wenn so etwas wie Corona eintritt, ist man völlig geplättet, weil man sich das gar nicht vorstellen konnte. Dann gibt es eine euphorische Widerstandsphase. Die erlebten wir vor anderthalb Jahren im Frühjahr, als die Leute gesagt haben, wir lassen uns nicht klein kriegen und verhalten uns solidarisch. Dann beginnt das lange Tal der Tränen, in dem man die Fassung verliert. Es bauen sich Klage- und Angstmuster auf, es gibt Bezichtigungen und das Geschimpfe. Und dann kommt die Form der Akzeptanz und Wiedergeburt. Man kann sich nicht mehr an der Negativität festklammern. Plötzlich entstehen die verblüffenden Effekte, die es in Krisen historisch immer gab.
Welche sind das?
Gerade in Pandemien hat stark ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Nach der Pest begann die Renaissance. Nach den Cholera-Epidemien im 18. und 19. Jahrhundert wurden aus Slums unsere lebenswürdigen Städte. Pandemien hinterlassen Veränderungen im menschlichen Verhalten. Das kann man sich während der Krise allerdings nicht vorstellen. Jetzt fürchten wir uns noch furchtbar vor den Menschen, die sich besonders fürchten und das schlägt in Aggression um. Aber das spielt im weiteren Verlauf keine Rolle mehr. Solche Krisen verändern gesellschaftliche Grundstrukturen, Verhaltenssysteme, Denksysteme oder Fühlsysteme.
Ich tröste mich in Krisen, dass sie zwar wie ein Waldbrand alles vernichten und alles für immer verloren ist. Aber es wächst etwas spannend Neues, auf das man sich freuen kann. Können Sie vergleichbar Positives in unserer Gesellschaft entdecken?
Erstmal zurück zur Allegorie des Waldbrands. Untersuchungen belegen, dass wer zwanghaft jedes kleine Feuer erstickt, irgendwann den richtig großen Waldbrand riskiert. Das ist eine alte Weisheit der Urvölker. Die Aborigines legen regelmäßig Feuer in der Wüste, damit sich von dem vielen Gestrüpp nicht immer mehr bildet. Sie vermeiden so den richtig großen Brand, den wir jetzt erlebt haben. Das ist auch eine wunderbare Metapher für das menschliche Leben. Ohne Krisen können wir uns nicht verändern, sondern klammern immer am Alten fest, fahren in dieselbe Richtung ¬– und das führt zum Entgleisen.
Wer will kann nach einem Perspektivwechsel die gesamten Systeme unserer Kultur und Gesellschaft analysieren. Ich fange nur mal mit der Arbeitswelt an. Wir kommen aus einer Welt im Prä-Corona, in der einige Tätigkeiten im Grunde genommen überflüssig waren und schlecht bezahlt wurden. In der haben sich immer mehr diese sehr hässlichen Billiglohnsektoren gebildet und Menschen wurden ausgebeutet. Und plötzlich wachen wir in einer Gesellschaft auf, in der qualifizierte Arbeit und das Können unglaublich gefragt sind. Es gibt kein Unternehmen mehr, dass nicht verzweifelt Leute und Talente sucht. Denken Sie mal an Handwerker, die heute praktisch jeden Preis verlangen können.
Epidemien wie Corona beschleunigen das Suchen nach Sinn. Das Erlebnis ist so existenziell, dass sich die Leute fragen: Sag mal, muss ich mir das antun? In Amerika nennt man das gerade The Great Resignation. Pro Monat kehren rund fünf Millionen Menschen nicht mehr an ihre alten Arbeitsplätze zurück, weil sie sich anders orientieren, selbständig machen und improvisieren. Krisen holen nicht jeden aus alten Gewohnheiten heraus, aber doch viele. Das sehen Sie überall. In der Pflege bis in den Kulturbereich fragen die sich: Vielleicht müssen wir auch mal etwas anderes und nicht immer dasselbe machen? Das führt dann zu einem positiven Schwurbel. Wenn man Schwurbel als die Bindung neuer Verbindungen begreift, dann schwurbelt uns eine Krise so richtig durch.
Die Veranstaltungswirtschaft ist von der Corona-Pandemie am härtesten betroffen. Wie kann ein solcher Wirtschaftszweig die Hoffnung aufrechterhalten?
Naja, jetzt Sie mit dieser Frage wieder in die Klagephase zurückgerutscht. Wem geht es denn nicht furchtbar? Den Gastwirten, den Mitarbeitern in der Automobilindustrie, es geht immer allen ganz furchtbar. Vielleicht sollten wir diesen Modus verlassen und die Lage betrachten. Natürlich sind Menschen nahe Branchen durch die Krise am meisten betroffen. Das ist nun mal so. Ich verdiene als Vortragsreisender mein Geld und habe praktisch alle meine klassischen Jobs verloren. Aber gleichzeitig ist eine neue virtuelle Branche entstanden, die rasend wächst. Auch ich habe viele Vorträge virtuell gehalten, obwohl ich mich nach der physischen Bühne sehne. Es ist interessant, was allein im kreativen Bereich für Software oder neue Arbeitsformate entstanden sind. Gerade diese Szene sollte sich auszeichnen, dass sie kreativ reagiert.
Das funktioniert nicht überall. Einem Großteil ist aber durch staatliche Transfers geholfen worden. Menschen, die dennoch durch die Lücken fallen, müssen sich etwas Neues einfallen lassen. Ihr Wertschöpfungskonzept war vielleicht nicht resilient genug und sie hatten eigentlich schon vor der Krise ein Problem. Drastisch formuliert: Wer zum Beispiel als Hotelier früher schon eine miese Küche hatte und Bedürfnisse der Kunden nicht beachtete, ist im Ausleseprozess vom Markt verschwunden. Diejenigen dagegen, die über einen Grundimpuls zur Innovation verfügen, werden sich auch neu erfinden. Es ist der Einbruch der Wahrheit in eine Scheinwirklichkeit, in der wir vorher gelebt haben. Das ist für einige Marktteilnehmer schwierig und für andere lehrreich.
Trotz des großes Nachholbedürfnisses zum Abfeiern werden aber künftig exzessive Partys, teures Fingerfood auf Veranstaltungen oder die gradlinige Vermehrung von Events nicht mehr in diesem Umfang stattfinden. Die Frage von Qualität spielt eine größere Rolle. Firmen hinterfragen mehr, ob eine Businesskonferenz wirklich nötig ist und die Wachstumsraten, die wir so selbstverständlich erwarten, kommen vielleicht nicht wieder. Es war auch sinnvoll, dass wir mal in den Himmel gucken und feststellen: Moment mal, da fliegen weniger Flugzeuge, aber vielleicht ist das auch nicht so falsch. Entweder müssen wir Flugzeuge erfinden, die die Umwelt nicht verschmutzen, oder es wäre nicht schlecht, weniger zu fliegen.
Es wird gern gefordert, nicht immer mehr und größer zu produzieren. Aber wenn etwas nicht mehr wächst, so wie Ihre Pflanzen im Garten, stirbt es doch?
Genau, aber wenn Sie in Ihrem Körper unbegrenztes Wachstum haben, dann ist das keine gute Mitteilung, oder? Das heißt dann nämlich Krebs. Deshalb stellt sich die Frage nach der Art von Wachstum. Wir reden dann zum Beispiel über Kreisläufe. Wir können Events qualitativ so gestalten, dass sie, metaphorisch gesprochen, gesünder sind. In einer anderen Denkweise befindet man sich dagegen in dem Zwang, dass wir irgendwann immer mehr Öl verbrennen müssen, weil es gar nicht mehr anders geht. Eine Gesellschaft muss nicht immer durch materielle Formen oder Produkte, sondern kann auch durch mehr Services, mehr Dienstleistung, mehr Zuneigung wachsen.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit kommen zurzeit als drängende Trends hinzu. Was würden Sie Unternehmen raten, um sich für die Zukunft gut aufzustellen?
Erst mal würde ich alle schnell gemachten Ratschläge am Telefon oder in Interviews ablehnen, weil das Blödsinn ist. Eine Standup-Beratung macht keinen Sinn, weil die Anbieter in der Unterhaltungsbranche ein gigantisches Spektrum abdecken. Im Grunde muss man das eigene Wertschöpfungskonzept hinterfragen, und zwar bevor man pleitegeht. Sie müssen verstehen, wie sich der Markt und Bedürfnisse verändern, rechtzeitig die Kurve kriegen und dann mit Innovation und neuen Formaten den Trend sogar mitgestalten. Denken Sie mal an Messen. Braucht es hier immer mehr Stände und körperliche Erschöpfung am Ende des Tages? Die Präsentationsmesse hat sich im Format überlebt. Da wird es neue hybride Formen geben, so kostbar die persönliche Begegnung auch ist. Wer diese neuen Angebote gestaltet, ist der Marktgewinner.
Jedem Trend folgt außerdem ein Gegentrend, der lukrativer sein kann. In den vergangenen 20, 30 Jahren standen Spaß und Entertainment im Vordergrund. Jetzt erleben wir die Digitalisierung, in der menschliche Beziehungen abstrakter und verdateter werden. Ich glaube aber nicht, dass die Menschen wirklich in den virtuellen Raum des Metaverse wollen. Sie möchten ihre Menschlichkeit leben. Das führt zu mehr qualifizierten Begegnungen. Hier hat die Eventbranche einen ewigen Charakter, weil sie dieses Bedürfnis bedient.
Worauf freuen Sie sich nach Corona?
Ich kann inzwischen gut mit einer Maske leben und bin da weniger paranoid. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir Streit in der Gesellschaft besser ritualisieren und moderieren. Auf vollkommen blödsinnige Streitdebatten im Fernsehen, wo man sich nur im Kreis dreht und verbal verprügelt, kann ich gut verzichten. Das waren die falschen Events.