Nicht weniger als einen kulturellen Wandel der Arbeitswelt strebt die Philosophie des „New Work“ an. Als einer ihrer Pioniere versteht sich Christoph Magnussen. Seit 2012 hilft er Firmen mit seiner Unternehmensberatung Blackboat, Arbeitswelten mit digitalen Tools freier und effektiver zu gestalten – und so gleichzeitig die Produktivität von Mitarbeitern zu erhöhen. Ein Gespräch mit ihm über neue Freiheiten mit mehr Verantwortung, Teamkultur trotz Homeoffice und Mitarbeiterführung beim Spaziergang.
Die Arbeitswelt ändert sich gerade grundlegend und strukturell – durch Megatrends wie Digitalisierung, Konnektivität und Globalisierung. Eine Antwort auf diese Transformation ist die Philosophie des „New Work“. Der Sozialphilosoph Prof. Dr. Frithjof Bergmann hat ihre Idee schon in den 80ern entwickelt. Ihm geht es um die Freiheit eines bei der Arbeit immer unfreier werden Menschen, gerade in Zeiten der Automatisierung. Was bedeutet „New Work“ für Dich?
New Work ist eine Arbeit, die die Menschen stärkt statt sie zu schwächen. Es ist jede Form von Arbeit, die Dir Kraft gibt statt Dir Energie zu rauben. Dazu gehört natürlich auch Disziplin, sie macht nicht nur Spaß. Aber Du hast Dich selbst dafür entschieden. Dieses Motto galt bereits für die 80er Jahre, aber hat nach wie vor Bestand.
So wie Du es schilderst, klingt es nach Berufung.
Bei Berufung habe ich eher das Bild des Künstlers vor Augen, der plötzlich aufwacht und auf die Inspiration wartet, bis ihn die Muse küsst. Dafür habe ich keine Geduld und andere auch nicht. Im Mittelpunkt stehen bei „New Work“ Fragen wie: Was kann ich gut und was macht mir Spaß? Wie arbeite ich gern und wie arbeite ich gern mit anderen?
Stellt man sich diese Frage nicht vor jeder Berufsentscheidung?
Ich glaube, dass wir häufig vergessen, uns diese Frage regelmäßig zu stellen. Als Erwachsene haben wir das verlernt. Dann lockt nur eine wohlklingende Jobanzeige, ein hohes Gehalt oder eine hohe Position, die Status bringt und das Konto füllt.
Dennoch müssen wir alle Geld verdienen. Wie kommt man heraus aus diesem Dilemma?
Viele fühlen sich deshalb überfordert. Im Mittelpunkt steht für mich, die Verantwortung zu übernehmen – und zwar für sich selbst. Gerade hierzulande sind wir sehr gut darin, die Verantwortung abzugeben. Wer ist verantwortlich, wenn privat oder beruflich etwas nicht läuft? Wie gehe ich mit der Situation in der Firma um? Diese Fragen muss ich mir unabhängig von Berufsjahren oder Tätigkeit stellen. Gerade in einer Krise wie Corona treten solche Probleme offener zu Tage. Das ist das bereinigende an einer Krise. Die entscheidende Frage lautet: Wie reagieren wir darauf?
Aber was macht man mit den Mitarbeitern, die sich dieser Verantwortung nicht stellen wollen?
Verantwortung kann man niemanden beibringen. Aber jeder Mensch spürt in jedem Lebensbereich Verantwortung. Die übernimmt er völlig eigenständig und manchmal plötzlich in den verschiedensten Situationen. Ein Beispiel ist die Wesensveränderung von Menschen, die ihr Leben umkrempeln, nachdem sie Kinder bekommen haben.
Übertragen auf die Arbeit, muss man auch dort diesen Punkt finden. Dazu braucht es Antworten auf die Fragen: Wie kann ich Sinn in meiner Tätigkeit finden? Welchen Teil kann ich dazu beitragen, dass es sinnvoll wird? Funktionieren Job, Kollegen oder die Tools nicht, dann muss ich etwas ändern. Und sei es nur die Art und Weise, wie ich damit umgehe.
Wir befinden uns aktuell noch immer mitten in der Corona-Krise, in der genau diese Tools, zum Beispiel im Homeoffice, wichtiger werden. Wie nimmst Du Unternehmen und ihren Umgang mit digitalen Instrumenten wahr?
Es gibt generell die Firmen, die schon vorher investiert haben und die anderen, die nun schnell und hektisch reagieren. Letzteres ist sehr gefährlich. Denn Du musst mehrere Punkte beachten, wenn Du Dich für die digitale Transformation im Office entscheidest. Selbst wenn Du Tools nur für eine Firma mit zehn Leuten auswählst, ist eine Entscheidung schwer rückgängig zu machen. Und die Rede ist nicht von Anbietern, die Dir das erschweren, sondern von den neuen Arbeitsprozessen, die Du damit einführst.
Viele haben Angst vor falschen Investitionen oder Datenverlust. Wie sollen Unternehmen hier am besten vorgehen?
Das ist keine Entscheidung, die Du in fünf Minuten triffst. Reden wir über Unternehmen mit zehntausenden Mitarbeitern, sind die Summen enorm hoch. Man sollte sich vorher genau fragen und analysieren: Wie arbeiten wir aktuell und wie wollen wir arbeiten? Wo klappt es bereits gut und wo nicht. Welches Tool ist dann sinnvoll? Wie hat es wiederum Auswirkungen auf die Kultur? Kurz: Guckt genau hin.
Entscheidend ist auch die Verhaltensweise. Ich sprach gerade mit einer Agenturchefin, deren Mitarbeiter alle Kinder in der Kita haben. Wie schaffen sie es, erfolgreich für die Kunden tätig und parallel für ihre Kinder präsent zu sein. Auch die jeweilige Dienstleistung der Firma ist relevant. Wenn wir bei uns im Studio Filme schneiden, brauchen wir andere Tools als ein Verlag.
Für unsere Firma entfällt wegen Corona zurzeit die wichtige Präsenzschulung unserer Kunden und ihrer Mitarbeiter vor Ort. Die wird gerne mal belächelt. Aber einige Mitarbeiter sind nicht begeistert von der Digitalisierung. Sie haben Angst davor oder verstehen sie nicht. Selbst Firmen, die bereits vor Corona in die digitale Transformation investiert hatten, merken nun, wie intensiv sie Angestellte vorher trainieren müssen.
Es kommt noch eine weitere Herausforderung hinzu: Wie hält man die Teamkultur bei Homeoffice aufrecht? Wir dürfen bei aller Effektivität nämlich nicht den zwischenmenschlichen Kontakt vergessen. Bei Terminen finden diese Gespräche davor oder danach statt. Ein Videocall ist also hervorragend für ein effizientes Meeting, aber nicht für den persönlichen Austausch. Daher achte ich bewusst darauf, viel mit jedem einzelnen Mitarbeiter zu telefonieren oder wir gehen spazieren. So entsteht eine intimere Atmosphäre. Das Büro ist als Ort also auch nur eines von vielen Tools der Kollaboration.
Was schätzt Du selbst an den digitalen Instrumenten und welche nutzt Du?
Ich sitze gerade im Editingroom unseres Studios. Ich habe mich für unser Interview an den Rechner gesetzt. Die Uhr hat ihn entsperrt und vor mir sind fünf Screens aufgegangen. Ich sehe Deine Kontaktdaten und die Dateien sind abgeglichen. Wäre ich unterwegs, stünden mir die Daten dank der Cloud auf meinem Smartphone zur Verfügung. Diese Abläufe sind für mich so normal geworden, dass ich es gar nicht anders kenne.
Ich nutze kaum Social Media und bin auch nicht traurig, wenn WhatsApp mal abstürzt. Ich finde nicht gut, wie die E-Mail in die Businesswelt adaptiert wurde. Ich bin kein Freund von superlangen E-Mails mit acht Dokumenten, die für Feedback an alle Leute geschickt werden. Dafür kann man leichter mit Online-Kollaboration an geteilten Textdokumenten in der Cloud arbeiten. Entscheidend ist, wie man welches Tool für welchen Zweck geschickt anwendet.
Man muss aufpassen, dass diese Technologien und der Umgang damit nicht übergriffig werden. Dann ist viel Schwachsinn drin und es steuert das Tool den Menschen und nicht anders herum. Niemand sollte dabei die Freiheit des anderen beschneiden. Der eine liest das Dokument am Smartphone, der andere am PC und der dritte druckt es sich aus. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl und gegenseitige Rücksichtnahme.
Alle diese Tools sind am Ende das Fundament, um ein transparentes Arbeiten möglich zu machen. Mit ihnen können wir Arbeit anders organisieren, um nicht zu viel Zeit mit dem Schwachsinn des Arbeitsalltags zu verbringen, von dem es so viel gibt. Die Aufgabe des Chefs ist es, dafür die Steine aus dem Weg zu räumen. Oder entsprechend nach zu justieren, wenn sich dadurch die Kultur verändert.
Wagst Du noch einen letzten Blick in die Zukunft der Arbeitswelt – wie gestaltet sie sich in den kommenden Jahren?
Die Zeiten am Bildschirm werden sich verändern. Wir verfügen jetzt schon über sehr viele Devices, wie PC, Laptop, iPad oder Uhr. Wir werden künftig noch weniger von diesem einen Gerät abhängig sein. Unsere Arbeit wird sich stattdessen auf mehrere Bildschirme verteilen und irgendwann gibt es ihn noch in der Brille. Die Arbeit hat sich nicht nur stärker vom Ort gelöst, sondern löst sich künftig mehr von den Geräten. Im Mittelpunkt steht dann stärker der Inhalt.
Mein Wunsch wäre, dass wir in Zukunft, noch besser mit integrierter Technologie umgehen können. Dennoch werden viele Entwicklungen nicht so schnell ablaufen, wie viele sich das wünschen. Bei der künstlichen Intelligenz sind wir zurzeit an dem Punkt, an dem sich das Internet Mitte der 90er Jahre befand. Es gibt gute Gründe, warum Länder wie China hier massiv investieren. KI wird also eine zentrale Rolle spielen.
Für die Menschen würde ich mir wünschen, dass sie sich die Arbeit noch reflektierter aussuchen und ausüben. Aber arbeiten werden wir alle weiter. Wir finden das viel zu toll.
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