Ein Gespräch mit Christina Barandun, Diplom-Theaterwissenschaftlerin sowie Coachin und Trainerin in der Kulturwirtschaft, über Homeoffice am Theater, neue Dimensionen für Seele und Struktur in Angesicht von Corona und was Aikido darin lehrt.
Sie unterstützen bundesweit Kulturbetriebe wie Theater, Chöre oder Orchester genauso wie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich weiter zu entwickeln, Stärken auszubauen und effektiver zu organisieren. Wie nehmen Sie Ihre unterschiedlichen Kunden in der Zeit von Corona wahr?
Theater sind Betriebe wie alle anderen auch. Dort werden bestimmte Themen, die in anderen Unternehmen längst selbstverständlich sind, nun erst langsam angedacht. Ich spreche von Weiterbildung, Gesundheitsmanagement oder Reflektion von Führungsrollen. In der Kommunikation fehlt es oft an ganz banalen Abstimmungen. Dann sind die Öffnungszeiten der Kantine nicht auf die Prozesse der Proben abgestimmt. Oder ein Techniker erfährt zu spät von einem neuen Probentermin, weil der E-Mail-Verkehr nicht reibungslos funktioniert. Das stresst wiederum die Künstler, wenn sie längst auf der Bühne üben wollen. Es treffen auch unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander. In solchen Fällen widersprechen die kreativen Ideen des Bühnendesigners den strengen Sicherheitsvorschriften, die der Bühnentechniker beachten muss.
In den Seminaren von Kulturbetrieben, in denen ich seit fünf Jahren unterwegs bin, kommt aus diesen Gründen häufig das Thema auf, wie die interne Kommunikation besser funktionieren könnte. Eine Lösung wäre sicherlich, einfach mit der IT in Kontakt zu treten und neue, andere Wege zu etablieren. Im Theater heißt es allerdings schnell, in diesem speziellen Umfeld wäre das leider schwierig.
Jetzt, nur ein paar Wochen nach Beginn der Kontaktsperre, höre ich dagegen ganz andere Aussagen. Ein technischer Direktor sagt mir, ein Homeoffice wird für viele nun kein Problem mehr sein. Eine Personalchefin meint, dass sie nun verstärkt flexible Arbeitsplätze dank Homeoffice umsetzen könne, weil sie in der Organisation merken, wie gut das funktioniert. Künftig kann sie nun leichter mit Platzmangel umgehen. Eine andere Kompanie erzählt mir, dass Videokonferenzen sogar mit 60 Leuten mit einmal überhaupt kein Problem seien. Ich selbst gebe inzwischen meine Moderation für Theaterbetriebe und Seminare online.
Was belegen diese Beispiele?
Ich finde beeindruckend, was wir alle in dieser kurzen Zeit in Bezug auf Strukturen verändern konnten. Es eröffnen sich neue Dimensionen. Die innovative Kraft dieser Zeit ist faszinierend. Wir können sie nutzen und am besten für eine Zeit nach Corona hinüberretten, wenn alles wieder normaler wird.
Sie sprachen von Organisationen. Was bedeutet diese schwierige Zeit für das Individuum? Was berichten Ihnen die Menschen aus ihrem Alltag?
Parallel zu diesen Veränderungen im Beruf gibt es eine andere, gesundheitliche Entwicklung. Die Ruhe dieser Zeit löst sie aus. Viele erzählen mir, dass ihre Stresssymptome nachlassen. Sie wachen morgens auf und sind wieder energiegeladen. Die Schmerzen in Kopf oder Magen sind verschwunden. Sie fühlen sich entspannter. Sie essen gesünder. Sie bewegen sich mehr. Sie meditieren oder reden mehr mit Freunden, Kindern und der gesamten Familie. Es entsteht eine ganz neue Lebensqualität. Natürlich vollzieht sich diese in einer außergewöhnlichen Zeit. Mit einer neuen Spielzeit auf den Bühnen werden Faktoren wie Stress und Druck wieder intensiver werden. Dennoch hilft es, momentan wesentlichen Fragen auf den Grund zu gehen: Was mache ich gerade anders als sonst und was möchte davon beibehalten? Was schenkt mir gerade Energie? Wie kann ich diese neuen Fähigkeiten ausbauen und meinen Tag so strukturieren, damit ich die neuen Gewohnheiten in Zukunft mehr nutze?
Es gibt die viel zitierte Erkenntnis, aus Krisen gestärkt hervorzugehen. Wie kann das Unternehmen gelingen?
In meinen Seminaren geht es zentral um Veränderung. Eigentlich müsste jetzt doch die Zeit sein, um all diese Themen anzugehen, die bisher brach lagen. Die Rede ist zum Beispiel von den offenen Strukturen, die Betriebe immer umsetzen wollten. Hilfreich sind zum Beispiel neue Impulse aus einer Bewegung, die sich gerade in vielen Industriesektoren, zum Beispiel der IT, durchsetzt. Die Rede ist von modernen Arbeitsstrukturen. Mit ihnen fördert man eine Zusammenarbeit, die eigenverantwortlicher, kollaborativer, partizipativer ist und mit weniger Hierarchien funktioniert. Damit lassen sich gesündere und motivierende Rahmenbedingungen und mehr Lebensqualität schaffen. Die leitenden Fragen wäre dann: Wie kann ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen über neue Strukturen austauschen und diese heute schon mit ihnen üben?
Es braucht viel Energie, um neue Strukturen zu etablieren. Üben ist dann sicher das richtige Stichwort?
Üben ist, wie mir alle Kunstschaffenden sicherlich beipflichten werden, die Basis, um die eigene Kunstfertigkeit kontinuierlich zu verfeinern. Ebenso, und dann heißt es probieren oder proben, um die Qualität im gemeinsamen künstlerischen Schaffen zu erhöhen. Mir scheint oft, dass Kunst trotz der schwierigen Rahmenbedingungen entsteht, die viel Energie verschwenden. Diese können wir genauso wie die Kommunikationsformen und Strukturen hinterfragen. Wir entwickeln sie für das Stück „Hinter der Bühne“ sozusagen im Produktionsprozess über Konzeptionierung, Bauprobe, Probephase bis zur Premiere. Speziell in unserer Branche würde das bedeuten, dass wir eine Realität und Welt im Theater schaffen, die uns allen guttut.
Sie haben den 3. Dan im Aikido und verwenden die japanische Kampfkunst unter anderen im Coaching. Sie ist eine defensive Kampfkunst mit weichen, fließenden Bewegungen, die die Attacke auf den Angreifer zurückwirft. Wie bekämpfe ich denn Corona mit Aikido – indem ich defensiv zu Hause bleibe?
Wie schön, dass Sie das Bild mit Aikido aufgreifen. Für mich allerdings, geht es im Aikido um etwas anderes. Es geht darum, sich aktiv um harmonische Umstände und Begegnungen zu kümmern. Wie der Name sagt: Der Weg, die Lebensenergie zu harmonisieren. Das soll eine Kampfkunst sein? Verrückt, nicht? Doch genau das ist die Kunst dahinter: Kämpfen, zurückschlagen oder fliehen und sich aufgeben – das können wir instinktiv. Das Ziel ist jedoch, in einer Krisensituation ruhig zu bleiben, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten, den Geist klar zu haben und mit Gelassenheit kluge, sinnstiftende, oft völlig neue und ungedachte Lösungen zu suchen, die allen helfen. Das ist für mich eine gewaltfreie Kampfkunst. Was hat das mit Corona zu tun? Natürlich schütze ich mich selbst und andere, indem ich auf Distanz bleibe. Doch ich achte auch darauf, den Blick zu weiten und in der Krise die Chance zu suchen. Denn die störende Kraft des Virus hat immerhin viele festgefahrenen, verkrusteten Verhaltens- und Denkweisen durchbrochen. Einfach, weil wir nicht anders konnten. Nun steht das Tor offen: Gemeinsam können wir Strukturen auf einer gesünderen Ebene entwickeln, die unser aller Lebensenergie nährt, bestärkt und erhält. Ist das nicht auch eine Aufgabe von Kunst?